Zum Warmwerden: das Elsass als Auftakt
„Complet“, und für die nicht des französischen Mächtigen, stand da noch „Sorry, we are full“. Wir stehen um halb acht Uhr abends an unserem ersten Frankreich-Reisetag völlig übermüdet vor einem idylischen Campingplatz am Rande von Strasbourg. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass wir heute leider nicht mehr unser Lager auf diesem Campingplatz aufschlagen werden. Und das unter der Woche! Der freundliche Herr an der Rezeption verweist uns nach Molsheim, 20 Kilometer weiter westlich. Mein automobil gebildeter Gatte wirft sogleich ein, dass in Molsheim ja die Firma Bugatti residiert. Vielleicht ein Wink des Schicksals dort hinzufahren und zumindest einmal von aussen einen Blick auf diese alt ehrwürdige Rennwagenschmiede zu werfen. Aber zunächst muß am dringensten unser Übernachtungsproblem gelöst werden.
Wir finden schliesslich einen Platz unter Bäumen auf dem Campingplatz, und hasten dann in die Altstadt von Molsheim, um nicht auch noch beim Finden eines Restaurantplatzes leer auszugehen. Doch weit gefehlt. Von überfüllten Gaststuben kann kein Rede sein. Die Stadt ist wie ausgestorben! Putzige, puppenstubenartige Elsässer Hausfassaden, unbeleuchtet, vermitteln den Eindruck, in dieser Stadt klappt man um 8 Uhr das Trotoir hoch. Wir finden ein Restaurant am Hauptplatz, das „Metzig“ und kommen dort immerhin in den Genuss von echtem (oder was wir dafür halten!) Elsäser Flammkuchen.
Am nächsten Tag lernen wir auf dem Campingplatz eine Gruppe von Deutschen kennen, die einen Trip mit röhrenden Velosolex von der anderen Seite des Rheins rüber ins Elsass machen. Auf kleinen Anhängern haben sie alles dabei, was man braucht: Proviant, Zelte, Kleidung. Wir sind beeindruckt von der Clique – alle um die 50 –, die mit kleinen Mopeds um die 30 km/h im Elsass rumzuckeln, das klingt nach entschleunigtem Reisen.
Auch wir widmen uns wieder unserem entschleunigtem Reisen und stopfen alles in den VW-Bus. Aufbruch, und alle packen an. Alle? Nicht wirklich, nach dem obligatorischen allmorgentlichen Anpfiff an den Nachwuchs, kommt die Kinderschar auch ihren Traveller-Pflichten nach.
Wir wollen noch unbedingt einen Blick zu Bugatti werfen, vielleicht sogar in die Firma reinschauen, aber das erweist sich als frommer Wunsch. Man gibt sich geheimniskrämerisch und so gibt es keinen Publikums- oder Öffentlichkeitsbereich. Wir erhaschen noch einen Blick auf eine alte Fabrikantenvilla – später recherchiere ich, dass es sich tatsächlich um den schlossähnlichen Firmensitz der Familie Bugatti handelt – die so edel herausgeputzt aussieht, als ob Ettore Bugatti gleich mit seinem Sportwagen die Kiesauffahrt entlangbraust.
Wir fahren weiter Richtung Champagne, kommen durch Orte, die sehr ländlich und verlassen wirken. Ich habe viel gelesen, über das berühmte Stadt-Land-Gefälle in Frankreich. Dort, auf der einen Seite die boomenden Großstädte wie Paris, auf der anderen Seite das sogenannte „abgehängte“ ländliche Frankreich, welches teilweise eine Arbeitslosigkeit von 20% aufweist.
Am Abend trudeln wir in unserem Etappen-Zielort Vecquville ein, einer Gemeinde im Département Haute-Marne. Dort treffen wir auf einen befreundeten Citroën-Schrauber-Kollegen von Micha, der sich eine alte Villa gekauft und seine Werkstatt dort eingerichtet hat. Er hat vor ein paar Jahren eine alte Fabrikantenvilla in Vecquville gekauft (schon wieder eine Fabrikantenvilla, in nur 2 Tagen! Da scheint ein Nest zu sein…). Unser Kinder sind ganz begeistert und wir bekommen von Mike auch noch eine Führung durch das nahegelegene Joinville, ein typisches Städtchen der Region Haut-Marne, gelegen an dem gleichnamigen Fluss. Mich faszinieren besonders die vielen alten Häuser im Stadtkern, welche oft „a vendre“ sind, also „zu verkaufen“. Was für ein Gegensatz zu unserer süddeutschen Heimat, in der wir uns seit Jahren mit einem völlig überhitzten Immobilienmarkt herum schlagen müssen. Mike zeigt auf ein Gebäude direkt neben der Kathedrale und meint: „Die alte Synagoge von Joinville. Wird jetzt von den Eigentümern restauriert, gekauft für ein paar Euro.“
Am nächsten Tag fahren wir weiter Richtung Loire.
Immer westwärts, unterhalb der Metropole Paris.
Camping am Fuße des Atomkraftwerk
Wir schlängeln uns im gewohnten Schneckentempo voran. Unser Ziel ist ein Campingplatz direkt an der Loire und unweit eines Atomkraftwerkes in Nouan-sur-Loire. Das Atomkraftwerk sieht man natürlich nicht auf den lieblichen Bildern der Campingplatz-Website. Erst als ich auf Google Maps die Gegend virtuell erkunde, fällt mir der Klotz gegenüber des Campingplatzes auf, auf dem das harmlose Wörtchen „Electricité de France Centrale Nucléaire“ stand. Jedoch sieht der Campingplatz in echt sehr freundlich aus und es versperren einem auch nicht hochhausgroße Kühltürme die Sicht aus dem Vorzelt. So sei es drum. Der Campingplatz hat auch noch einen weiteren Vorteil. Mit dem Fahrrad kann man bequem das wohl berühmteste und prächtigste Schloss der Loire erreichern: Chambord
Chambooooooord, wie es meine Kinder bald kichernd artikulierten ist unglaublich beeindruckend. Als Auftakt der Reihe Schlöser der Loire kaum noch zu toppen.
Alle 5 Kilometer ein Schloß – und unendliche viele Gobelins
Unsere kleine Schlössertour beläuft sich schließlich auf „nur“ noch zwei weitere: Chenonceau und Cheverny. Allein über diese drei von uns besuchten Kulturdenkmäler könnte man einen eigenen Beitrag schreiben. Warum nicht noch mehr? Dort in der Gegend um die Loire wimmelt es letztendlich vor pittoresken Chateaus. Ja, und diese schönen Gemäuer sind nicht nur sehr hübsch anzusehen, sondern auch hübsch teuer für eine vierköpfige Familie, im Schnitt oft 50 bis 60 Euro als Eintrittspreis. Und zugegeben: irgendwann reicht es wieder mit Gobelins – das war unser Schlagwort, welches alle Schlösser verband – unzähliche aufwendige Gobelins
Und wir wollen auch weiter Richtung Südwesten. So steuern wir nach einer halben Woche Richtung Nouvelle-Aquitain und landen zufällig in Angoulême in der Region Charente, der Comic-Hauptstadt Frankreichs. Überall in der Stadt verteilt findet man an Wänden und Häusern Graffities im Comic-Stil, für mich als Streetartfan eine tolle Entdeckung.
Nach einer Woche on the Road quer durch Frankreich erreichen wir in der letzten Augustwoche Lacanau, wo wir 2 Wochen ein Appartment mieten und unser Bulli erstmal Pause hat.
Auch von Lacanau sind mir schlichtweg begeistert. Wellen, einfach nur Wellen! Für uns Mittelmeerkenner ist dies erstmal eine Offenbarung.
Da Lacanau nur 40 km von Bordeaux weg ist, beschließen wir diese berühmte Stadt an der Garonne zu besuchen. Wir wollen ein neues Viertel aufsuchen, das sich Darwin nennt und auf einem ehemaligen Kasernengelände mit dem wohlklingenden Namen Niel entstanden ist. Hier haben sich Creative, Sozial-Projekte, Streetart-Künstler und natürlich auch die obligatorischen Hipster-Start-ups angesiedelt.
Jedoch ist das Wort „Hipster“ doch allzu abwertend und wird diesem großen, mannigfaltigem Projekt nicht gerecht. Hier geht es tatsächlich um junge Menschen, die anpacken wollen und Sozialverantwortung übernehmen. Hier arbeiten viele Stiftungen an neuen Ideen in den Bereichen Kunst und Kultur, Nachhaltigkeit und Umweltschutz.
Wir lassen uns auf dem luftigen Innenhof nieder und verbringen den ganzen Mittag hier mit schauen, essen und herumstreifen. Ein tolle Atmosphäre liegt über dem Areal und ich nehme viele Eindrücke und Flyer mit nach Hause.
Eindrücke aus Bordeaux, Viertel „Darwin“
Lacanau