Roma… schon allein der Name geht runter wie Butter. Komisch – dass mir das erst jetzt auffällt: Rom heisst von rückwärts gelesen „Amor“, wie „Liebe“ auf Latein. Erst als ich den Bayern2-Podcast „Bavaresi a Roma“ anhörte, fiel mir dieses witzige Detail auf, welches dort beiläufig erwähnt wurde. Wenn das mal kein Zufall ist, oder anders gesagt: „Nomen est Omen“ – wenn das mal nicht eine Vorbedeutung hat.
Es ist halb neun Uhr morgens und wir ziehen unsere Handgepäcks-Koffer im Licht der Morgensonne über das Rollfeld des Flughafen Ciampino bei Rom. Nach über zehn Jahren mache ich mich mit meinem Mann wieder auf nach Rom, in die ewige Stadt. Unsere Reise beginnt eben an diesem südöstlichen Punkt vor den Toren der Stadt Rom, bei Ciampino, dem zweiten Flughafen von Rom, der in den letzten Jahren einen enormen Zulauf verbuchen konnte, weil dort hauptsächlich die Fluglinien der eher unteren Preisklassen ihren Zielpunkt haben.
Man ist dort auf den Strom der der ankommenden Besucher Richtung Stadtzentrum eingerichtet. Ausgestattet mit dem Rom-Pass, einem kreditkartengroßen Kärtchen, was es so oder in ähnlicher Form mittlerweile in fast allen Metropolen gibt, lassen wir uns erst mit dem Bus, dann mit der S-Bahn Richtung dem Stadtviertel Monti treiben, wo unsere Unterkunft ist. Drei Tage Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, ohne Fahrkarten abzustempeln oder Ausrechnen irgendwelcher Zonen – das klingt spannend und einfach und kostet 38,50 Euro. Unser Ziel ist es, den Rom-Pass gut auszunutzen, und die Stadt per Bus und U-Bahn und was es sonst noch alles an öffentlichen Transportwegen gibt zu erkunden. Auch Stadtviertel, die ein weniger weiter draussen liegen, wollen wir für uns entdecken.
All die bekannten Touristenziele in Rom, wie Petersdom und Colosseum, kenne ich schon und die sind mittlerweile unglaublich überlaufen. Den Urlaub nur in der Warteschlange verbringen? Dann lieber den Zauber dieser Stadt abseits erkunden, sich einfach treiben lassen.
Monti – Roms malerisches altes Handwerkerviertel
Angekommen im Stadtteil Monti strolchen wir durch die engen Gassen. Efeubewachsene Fassaden, ein wie zufällig abgestellter Fiat Cinquecento (der wahrscheinlich als Fotomotiv den Blick auf das nebenstehende Lokal lenken soll) geben den Straßen einen dörflichen, gemütlichen Charme.
Monti zählt zu den Vierteln, die in den letzten Jahren vom hippen urbanen Publikum erobert wurden. Eine Art Prenzlauer Berg von Rom, nur ohne Kehrwoche und Schwaben. Tatsächlich zählt Monti zu den ältesten Stadtteilen Roms, und obwohl sein Name „Berge“ bedeutet, liegt es eingebettet zwischen diverser Hügel. Zur Zeit der alten Römer war es noch ein klassisches Glasscherbenviertel, berüchtigt als Ort, wo sich das horizontale Gewerbe herumtreibt und wo die kleinen Handwerker ihre Bleibe haben.
Tempi passati, mittlerweile hat sich dieses Viertel zum alternativen Hotspot mit schicken Cafes und Läden entwickelt – mit all seinen Licht- und Schattenseiten. Gentrifizierung ist auch hier kein Fremdwort und längst können sich viele Künstler und Studenten diese Ecke von Rom nicht mehr leisten.
An der Piazza della Madonna dei Monti nehmen wir einen Kaffee und ein Panino im Stehen, geniessen das wuselige Treiben von alt und jung.
Besonders am Abend ist dieser Platz umlagert von vielen Studenten, die sich aus den umliegenden Bars mit Bieren versorgen. Auch wir nehmen am ersten Abend noch einen Absacker am Platz, und freuen uns an der Tatsache, dass man hier noch anfang Oktober abends draussen sitzen kann. Also wir zum Hotel gehen, stellt Micha fest, dass sein kleiner digitaler Fotoapparat weg ist. Alle Taschen werden ausgelehrt und umgedreht. Nichts. Niedergeschlagen gehen wir zurück zur Piazza, wo wir eben noch ausgelassen getrunken hatten. „Den Apparat sehen wir nie wieder“, denke ich mit typisch deutschem Pessimismus. Dort angekommen erkenne ich die jungen Mädels, die neben uns gesessen haben und erkläre ihnen auf italienisch die Situation. Sofort suchen wir alle zusammen alles ab – vergeblich. Sie schicken uns zur nächstgelegenen Bar. „Wenn dann hat es dort sicher jemand abgegeben“, versuchen sie uns aufzumuntern. Und tatsächlich! Wir können es kaum glauben. Der aus der Jackentasche gerutschte Fotoapparat wurde in der Bar abgegeben. Ma que fortuna! Es gibt doch noch ehrliche Leute „Lieber Gott“, schwöre ich mir insgeheim kleinlaut, „wenn mich das nächste Mal wieder Vorurteile ereilen bezüglich italienischer Schlitzohrigkeit und Mafiositum, dann erinnere mich bitte an die Piazza Madonna dei Monti und schicke einen Blitz vom Himmel!“
Aufbruch zum Testaccio und ehemaligen Schlachthofviertel
Ortswechsel am nächsten Tag: Noch ein anderes interessantes Viertel von Rom steht auf unserem Plan, Testaccio, das alte Schlachthofviertel, wo Roms meterhoher Scherbenberg, bestehend aus Millionen von zerbrochenen Amphoren, in die Höhe ragt.
Wir stehen gespannt am Tiberufer, um die Buslinie 115 oder 870 Richtung Trastevere zu nehmen. Rumpelnd erklimmen wir zunächst den Gianicolo, einen Berg, der allerdings genaugenommen nicht zu den berühmten sieben Hügeln zählt. In Serpentinen geht es immer höher. Aus dem Augenwinkel sehen wir ein Hochzeitspaar, welches sich mit einem Retrobus bildgewaltig vor einem riesige Barockbrunnen, der Fontana Paola, ablichten lässt. Oben ist eine der schönsten und atemberaubensten Aussichten auf Rom, dementsprechend nimmt auch die Menge an Touristen mit ausgestreckten Armen und knipsenden Handys zu. Wir steigen in Trastevere aus und gehen von hinten in das Viertel. Durch Zufall entdecken wir die älteste Marienkirche von Rom, Santa Maria in Trastevere, die mit ihrem schönen Platz das Zentrum von Trastevere bildet. Sie wurde über einer Ölquelle erbaut, die 30 Jahre bevor Jesus geboren wurde, aufgetreten sein soll. Sie wurde von den Juden damals als Zeichen für das Nahen des Messias gewertet. Schon im 3. Jahrhundert soll hier eine Kirche erbaut worden sein und die frühen Christen sollen darin ihre ersten öffentlichen Gottesdienste abgehalten haben. Im 12. Jahrhundert enstand dann die Kirche in ihrer heutigen dreischiffigen Form.
Wir schlendern weiter durch malerische Gassen, vorbei an zahlreichen Restaurant, die mit karierten Tischdecken genau eben diesen Flair verbreiten, den die Touristen so lieben und mit Autentizität verbinden.
Kichernd stelle ich mir vor, wie die Besitzerin – ich nenne sie geistig Claudia – ihrem Mann am Morgen vor dem Eindecken zuruft: „Luigi, hol die karierten Tischdecken aus der Kammer – heute kommt wieder ein Bus mit Tedesci!“ „Certo, Claudia, ich hole die hässlichen Fetzen!“ Nein, sowas spielt sich sicher nur in meiner verschrobenen Phanatsie ab… Securo – und nichts für ungut.
Am Tiberufer angekommen steigen wir wieder in der Bus, um endlich Richtung Testaccio zu fahren. Staunend nehmen wir die Stadt durch die Busfester en passent wahr. Die Straßen werden breiter, die Touristenströme nehmen ab.
Wir steigen an der Haltestelle Vanvitelli aus und laufen Richtung dem „Monte Testaccio“, Roms beeindruckender Scherbenhügel, der in den Tausenden von Jahren, in dem die Bewohner von Rom dort ihre zerbrochenen Amphoren geworfen haben, auf 30 Meter angewachsen ist. An manchen Stellen kann man diese fein säuberlich aufgeschichteten freigelegten Scherben bestaunen, wie die Schichten einer gigantischen Blätterteigtorte.
Dann stehen wir auch schon vor dem ehemaligen Schlachthofarial, dem „Mattatoio“. Bis 1975 wurden hier Schweinehälften im Accord zerteilt, bis dann vor den Toren der Stadt eine modernere Anlage gebaut wurde. Der alte Schlachthof hatte ausgedient und verfiel zusehends. Schließlich begann man in den letzten Jahren damit, die alten Industriehallen wieder nach und nach her zu richten. Mittlerweile befindet sich auf den Gelände das MACRO, ein Museum für Moderne Gegenwartskunst. Wir sehen uns die aktuelle Ausstellung an, schlendern durch das weitläufige Gelände, werfen einen Blick in die eine oder andere Halle, die noch darauf wartet, zu neuem kulturellem Leben erweckt zu werden. Stellen uns mit einem Schauer am Rücken vor, wie Rinder hier an Haken um die Ecke gesaust sind. Ein gruseliger Gedanke.
Trotzdem geht von diesem Industriedenkmal ein morbider Charme aus, eben weil vieles noch nicht durch renoviert ist.
San Lorenzo – wo das studentische Leben von Rom pulsiert
Nach einem Kaffee in einer Bar nahe den alten Viehgattern brechen wir wieder auf in Richtung Centro Storico und wollen am Abend noch ein anderes Viertel besuchen: San Lorenzo, das Studentenviertel, welches jenseits des Bahnhofes liegt. Auch wieder ein Stadtteil, welchem das Etikett „der neue Prenzlauer Berg von Rom“ angeheftet wird. Wir stellen fest, wir hangeln uns von einem „römischen Prenzlauer Berg“ zum nächsten, anscheinend wandern die In-Viertel immer mehr in die umliegenden Ecken der Stadt ab, immer weiter raus, weil die wirklich coolen Leute sich die Preise in der historischen Innenstadt eh nicht mehr leisten können und darum weiter ziehen. Über San Lorenzo habe ich gelesen, dass es im Juli 1943 von den Aliierten bombadiert wurde, weswegen es ab den 50er Jahren wieder neu aufgebaut werden musste. Das klingt nach Häusern, die mit Graffittis besprüht sind, die aussehen wie viele italienische Vorstädte.
Mit dem Bus fahren wir von Monti aus durch die römische Nacht, vorbei am Bahnhofsviertel. Die Rückseite ist nur spärlich beleuchtet, und zum ersten mal bin ich froh, hier nicht entlang laufen zu müssen, sondern bequem zu fahren. Diese Seite gehört den Obdachlosen, den Afrikanern, den Dogensüchtigen, welche hier ihre Bleibe für die Nacht finden, auf Matratzen, hinter Kisten. Hierher verirrt sich sicher keine Touristengruppe, und doch ist es nur einen Steinwurf von der hektischen Bahnhofshalle entfernt, wo Passagiere ihre Koffer zum Bahnsteig rollen. Rom – auch eine Stadt der Gegensätze zwischen Arm und Reich. Auch wir fahren weiter und steigen dann schließlich in der Via Tiburtina aus. Wir wollen zu einem typischen Restaurant, welches römische Küche anbietet. „A Piedi Pari“ so der Name, was so viel heisst wie „bei den gleichen Füßen“. Micha wagt sich auch an ein typisches römisches Gericht: Kutteln. Oh je, der Arme. Wir finden, Kutteln sind zu recht in Vergessenheit geraten, zähe Burschen, geschmacklos und wie Gummi, kann man da nur sagen. Das schreit nach einem Schnaps in einer der vielen Studenten-Kneipen. Hier haben wir mehr Glück und geniessen die Atmosphäre. Dass wir den Altersdurchschnitt um 20 Jahre anheben, scheint keinen zu stören. Hier hat man am ehesten noch das Gefühl in Berlin-Neukölln oder Friedrichshain zu sein. Auch optisch hebt sich das Viertel deutlich ab gegenüber dem historischen Zentrum mit all seinen überbordenden Säulen, antiken Bauwerken und Tempeln, dicht gedrängt auf wenigen Quadratmetern. Hier wähnt man sich fast in Neukölln, nur mit mediterranem Anstrich. Zumindest die Vielzahl der Graffitis an den Fassaden ist ähnlich zahlreich. Unser letzter Abend in Rom klingt aus.
Mit seinem Marimba-Ton reisst uns der Handy-Wecker am nächsten morgen um halb sechs Uhr aus dem Schlaf. Es heisst Lebewohl zu dieser wunderschönen Stadt zu sagen. Wir greifen unser Handgepäck und halten ein letztes Mal unsere Rom-Card an den Sensor der U-Bahn-Schranke beim Eingang Via Cavour. Mit dem Pendlerstrom der Frühschichtler fahren wir stadtauswärts Richtung Flughafen. Einmal noch in den Bus umsteigen und schon stehen wir im dämmrigen Licht des Sonnenaufgangs vor dem Flughafengebäude von Ciampino. Ich blicke mich noch einmal um und geniesse den Blick über die Hügel des Latium, wo gerade die frühe Herbstsonne hervor bricht. „Ciao Roma, ritorneremo sicuramente!“